Vorwort: Als sehr, sehr kleiner Junge hatte ich die
Vorstellung, wenn ich ein Orchester im Radio spielen hörte, dass sich dieses
Orchester tatsächlich in dem Radio drinnen befindet, ein kleines
Orchester also. Dass dies nicht der Wahrheit entsprach, bekam ich
heraus, als ich eines Tages das Radio auseinanderschraubte. Als ich das
Orchester
nicht fand, versuchte ich das Radio wieder zusammenzuschrauben, was mir
aber nicht gelang. Meine Eltern bekamen heraus, was ich getan hatte
und ich musste als Strafe zwei Jahre lang Blockflötenunterricht nehmen.
Was mir leider nur auf aller niedrigstem Niveau gelang. Ich bekam keinen
nur halbwegs sauberen Ton aus diesem Blasinstrument und wurde deshalb
nie in ein Blockflötenorchester aufgenommen.
Apropos, so erging es auch unserer Kuckucksuhr. Das mit dem Tortenboden
- Dachboden
erzähle ich lieber nicht, sonst käme heraus, dass ich damals glaubte,
...
Tja, und das mit dem Chianti-Wein-Lied verhielt sich so: Ich war
damals sieben. Im
Rundfunk wurde damals recht häufig das Chianti-Wein-Lied gespielt. "Ja, ja
der Chianti-Wein, der lädt uns alle ein! Drum lass und glücklich sein und
uns des Lebens freu'n. Beim goldenen Chianti-Wein!" Bei uns gab es noch
keinen Chianti-Wein in entsprechender Fiasco-Flasche und ich verstand "Quantibein" und habe meine Eltern gefragt, warum
der Quantibein immer alle einlud.
Das war auch die Zeit, in der
ich glaubte, dass die Cowboys und Indianer im Fernseher sich wirklich
erschießen.
Dass ich mit Karl May aufgewachsen bin, hatte ich
schon erzählt, nein? Also, das war so, da gibt es Schilderungen von ...
Indianer.-, Grizzly-, ... Überfällen, [...]
Ja, und dann war da noch Weihnachten 1959: Ich bekam von meinen Eltern zu Weihnachten
einen Old-Shatterhand-Anzug (englisch für „Alte Schmetterhand“) geschenkt.
Eigentlich super – aber: Fast alle Jungs in unserer Straße bekamen ebenfalls einen Old-Shatterhand-Anzug.
Wir hatten dann beim Spielen Old-Shatterhand 1, …2, …3, …4, aber keine Indianer. Wir fanden das richtig dramatisch.
Wenige Jahre später fand ich Winnetou wegen seiner guten
Eigenschaften irgendwie edler. Verkörpert von Pierre Brice. Ich hatte
alle Winnetou-Filme (ab 1964) mir anschauen können. 2,50 Deutsche Mark
Eintritt. Also klar, Bravo-Starschnitt. Das große Drama war, dass
ich seinen rechten Fuß nicht hatte. Alle anderen Teile hatte ich. Nur
nicht den rechten Fuß.
Jetzt aber:
Nach einem Rundfunkmanuskript von Klaus Walter, Hessischer Rundfunk
Meine Musiksozialisation
Für meine Schülerinnen und Schüler.
Was waren das doch für
Zeiten, als sich noch die ganze Familie zu festen Zeiten in der
Küche oder im Wohnzimmer versammelte, um den Klängen zu lauschen,
die aus dem Radio kamen.
Pop-Musik, also populäre Musik, die aus den USA und Großbritannien
spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre nach Deutschland kam, hat das
Leben von Generationen entscheidend beeinflusst. Die Musik, die ich in
dieser Zeit gerne gehört habe, hat mich lebenslang geprägt.
Wie sowas (so etwas) bei mir ablief, schildere ich euch:
Mein Vater mochte keine Beatmusik, genauer gesagt er hasste Beatmusik.
Urwaldmusik, ungewaschene Typen, arbeitsscheues Gesindel, lange Haare, ungepflegtes
Äußere, Gammler eben. "Ratten und Schmeißfliegen", Franz Josef Strauß
hat's geprägt, fiel auch hin und wieder.
Die rollenden Steine, die Beatles kannte mein Vater seit
1964 aus dem
Radio, aus der 'Frankfurter Schlagerbörse' und später dann auch
die The Animals. Jeden Donnerstag um
19:30 Uhr im Hessischen Rundfunk.
Es gab keinen HR III und SWR III, MTV, war der Name eines
Männer-Turn-Vereins, VIVA, das war lateinisch und Internet, na ja Inter
Mailand hatte gerade den Europapokal gewonnen. Mein Vater bekam einen
verklärten Blick, wenn er im Fernseher Katarina Valente sah. Der
Hessische Rundfunk hatte damals nur zwei Programme; wir sind in den 60er
Jahren.
Nun, dies war auch die Zeit von Tante Hedi. Das heißt, Martin, ihr Mann
und sie, fuhren um diese Zeit ins Land ihrer Sehnsucht, nach Italien.
Ausgestattet mit Benzingutscheinen, des hohen Spritpreises wegen.
[...]
1963 fuhren meine Eltern mit mir ebenfalls gen
Italien. [...] Ich weiß noch, die Autofahrt war lang und quälend, aber
wir sangen fröhliche Lieder. Zum Beispiel: "Von den blauen Bergen kommen
wir / unser Lehrer ist genauso dumm wie wir."
Die Schlagerbörse also. Eine Hitparade demokratisch gewählt von den
Hörern (von wegen Hörerinnen und Hörer, die Doppelnamen-Trägerinnen
hatten damals noch nicht das Sagen) des Hessischen Rundfunks, die
einzige Sendung weit, in der diese neumodische Beatmusik gespielt wurde,
damals: Die rollenden Steine, die Beatles und klar, die Tiere.
Die Animals, aber auch Peter Alexander, Roy Black, Michael Holm mit
"Mendocino" und Heintje mit
"Mama" und "Heidschi Bumbeidschi". Ich war
damals 20 Jahre und fuhr nach Paris. [...]
Meine Freundinnen hatten damals Namen wie, Birgit, Helga und Ursula.
[...]
Aber zurück zur Schlagerbörse. Hier konkurrierten also deutsche Schlager mit
englisch-amerikanischer Beatmusik um die Gunst des Publikums. Moderiert
wurde die Sendung von Hans Verres, Donnerstag für Donnerstag.
Die Schlagerbörse kam nämlich immer pünktlich nach
dem Abendessen. Meine Mutter spülte das Geschirr und mein Vater las die
'Abendpost-Nachtausgabe', eine qualitätsvolle Frankfurter
Boulevardzeitung. Ich räumte ein und im kleinen Kofferradio lief die
Schlagerbörse. Eigentlich ganz friedlich.
Aber so lange sollte
diese Idylle dann doch nicht halten, spätestens wenn 'die Tiere', die Animals und die
'rollenden Steine', die Rolling Stones aus dem Kofferradio
dröhnten, spätestens dann bekam mein Vater schlechte Laune. "Und wie die schon heißen, The Animals, die Tiere, das sind doch Tiere."
Ich
habe nicht viel verstanden was 'die Tiere' und die 'rollenden Steine'
gesungen haben, meine Englischkenntnisse waren in den frühen 60zigern
schlecht. Meine Mutter verstand auch nix, sie war vor dem 1.
Weltkrieg aufgewachsen, ohne Englischunterricht. Nein, sie
lächelte nicht bei dieser Musik, genau wie mein Vater.
Im Rückblick weiß ich natürlich, weshalb das so war: Musik der Sieger,
wäre so eine Begrifflichkeit.
Und ich, na ja, für mich war klar,
dass das Leben mit der Beatmusik irgendwie interessanter und aufregender
sein könnte, als das mit "Heidschi Bumbeidschi" von Heintje.
Übrigens fünf Wochen
Platz drei der Hits von 1968.
Aber es gab auch
noch Peter Alexander und Roy Black und Dorte und Gitte, Manuela, lauter
Frauen ohne Nachnamen, komischerweise. Wobei ich sagen muss, dass da
auch Klartext gesungen wurde: "Ich will einen Cowboy als Mann." Zum
Beispiel von Gitte, also bitte. Also, die hatten viele Fans in Hessen
und sie erreichten, ich kann mich erinnern, immer wieder Spitzenplätze
in der Schlagerbörse.
Mein Vater machte sich nicht viel aus
Musik, aber wenn schon, dann doch viel lieber deutsche Schlager als Beat. Diese Vorliebe teilte er mit vielen aus dem Hessenland in den späten
60er und 70er Jahren.
Der Moderater der Schlagerbörse war
allerdings kein
Freund des deutschen Schlagers. Und wieder kann ich mich erinnern, mehr
als einmal brachte er deutlich seine eigene Meinung zu einzelnen
deutschen Schlagersängern/innen über den Sender.
Das war auch die
Zeit, in der
mein Vater es sich nicht nehmen ließ, noch in guter alter Tradition, in
mein
Zimmer zu kommen um den Ton leiser zu drehen. Auch einmal als "(I Can't
Get No) Satisfaction" von den Rolling Stones "etwas" zu laut aus meinem Zimmer
drang. Er fragt mich, was der da singt und ich sagte ihm, dies sei Mick
Jagger und er singe, dass er keine Befriedigung finden könne und mein
Vater meinte, dass der auch so singen würde. Damit war der Krieg
eröffnet.
[...]
Sagen Sie bloß, sie hätten es gewusst: Mick Jaggers
jüngste Tochter rief einst "Daddy, Daddy", als im Fernsehen ein
Schimpanse zu sehen war. Wenn das mein Vater erfahren hätte!
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Ein sehr, sehr kleiner Junge schraubte einstmals das Radio
auseinander, weil er glaubte ...
Der Bub, ich bekam 1964 (16 Jahre) längere Haare (hier vor dem Schloss
Linderhof).
Ein so genannter Pilzkopf. Ich konnte damals noch nicht mehrere
interessante Sätze hintereinander sagen.
Ja, ich hatte damals Freunde, die hatten bessere Gene abgekriegt, die
waren wohl vorteilhafter ausgemendelt, die sahen besser aus als ich.
Trotzdem entwickelte sich auf irgendeine Weise bei mir ein echtes Selbstwertgefühl –
das sich zusammensetzt aus Selbst und Wert und Gefühl. Ja, so war das.
Wenn ich mir in der Nachschau das alles anschaue: Auf den alten Fotos sehen wir Jungs der damaligen Zeit, nicht nur
wegen der Klamotten, fast alle aus wie Schweinssteiger.
1965 - Ich vor unserem Opel Rekord. Man beachte das Einstecktuch.
Wahrscheinlich vor dem Bürgerhaus in Karben bei Bad Vilbel, das liegt
leicht nordöstlich von Frankfurt und nicht verwechseln mit Kabul, dass
liegt weiter östlich, von Frankfurt-Bornheim aus gesehen.
Aus urheberrechtlichen Gründen wurde hier ein Foto entfernt.
Es zeigte ein Plattencover der Rolling Stones.
1965 - Meine erste Schallplatte von den 'Rollenden Steinen'. 19,00
Deutsche Mark
1965 - Diesmal vor Tante Elisabeths Karosse; mit Autoradio und man erkennt
bei Jürgen Feldpusch den Sinn für gute Posen.
Suchbild - 1967 Abschlussklasse
Dipl.-Ing. Heinz W.; Oberstudiendirektor Wolfgang R.; Dipl.-Wirt.-Ing.
Walter K., Bauunternehmer Eberhard P.; Dipl.-Ing. Klaus, K.;
Oberstudienrat Fritjof W.; Jürgen Feldpusch, Lehrer; naja usw.
Mancher ist Mister Dick oder oder Doktor Doof geworden oder umgekehrt.
Interessant ist allerdings der zweite junge Herr von rechts. Falls Sie
einen Rasierer von Braun besitzen. Dies ist sein Designer: Roland Ullmann.
"Less and More. Das Designethos von
Dieter Rams" Titel einer großen Ausstellung bis 05. September 2010 im
Frankfurter Museum für Angewandte Kunst. 1961 - 1995 war Rams
Chefdesigner bei dem Unternehmen Braun.
Roland Ullmann, man kann ihn auch als "Mister Braun Rasierer"
bezeichnen, war von
1972 bis 2010 im Braun Design Team verantwortlich für den Bereich
Elektrorasierer.
[...]
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