Vorsicht Satire!
Ja zugegeben, Postkartenschreiben ist etwas
aus der Mode gekommen, seitdem von fast jedem Winkel des Globus eine
SMS oder eine Mail nebst Schnappschuss nach Hause geschickt werden kann,
an die Familie, Freunde und Bekannte.
Trotzdem, hier einige
Tipps, wie eine korrekte Urlaubskarte aussehen soll.
Grüße aus Lamporecchio
Meine Schüler/innen lernen im Deutschunterricht in den jeweiligen
Klassenstufen unter anderem den Aufbau und die Merkmale der
unterschiedlichsten Textsorten kennen: das Märchen, die Sage, die Legende,
der Schwank, die Fabel, die Parabel, der Witz¹, die Kalendergeschichte, die Erzählung,
die Kurzgeschichte, die Anekdote, die Novelle, der Roman.
zu 1 Der Witz Der Witz ist eine eigenständige Textsorte. Nicht zu
verwechseln mit einer Scherzfrage.
Leider habe ich es bisher versäumt, ihnen den Aufbau einer der
kompliziertsten Textsorten
zu vermitteln.
Der Postkarte. Beginnen wir mit dem Format. Die effektive Schreibfläche
einer klassischen Urlaubskarte beträgt 7 x 10,5 Zentimeter. Sinn und
Zweck einer Urlaubskarte ist es, die Zurückgebliebenen zu grüßen, zu
unterrichten und ja und zu verhöhnen. Die Informationsdichte ist sehr
hoch.
Darüber hinaus und das macht die Sache nicht einfacher, muss der Text halbwegs
mit dem jeweiligen Kartenmotiv übereinstimmen. Was schreibt man zum
Beispiel auf eine Karte, die zu der So-hässlich-dass-sie-schon-wieder-schön-ist-Sorte gehört?
Also, zum Infoteil gehört eine knappe Standortskizze, die auf den Empfänger
einen weltmännischen oder mindestens aber einen
franko- oder italophilen Eindruck machen muss. Dieses Ziel erreicht man
am besten dadurch, dass man als Schreiber seinen Urlaubsort mit Hilfe
von wirren Koordinaten angibt - "Wir flogen heute mit
einem Wasserflugzeug nach St. Thomas, das ist nördlich von St. Croix."
- "Ich bin wieder einmal für ein paar Tage in Ubud; das liegt
ungefähr mittig von Bali." (Postkarte eines Kollegen an das
Schulkollegium, der dementsprechend auch Weltenbummler genannt wurde.)
Oder: "Ich bin dieses Mal bei der Olivenernte in Lamporecchio
dabei, das ist in der nördlichen Toskana." Oder: "Kennt
ihr Château de Pizay? Da müsst ihr das nächste Mal vorbeifahren. Es
ist südlich von Mâcon, ca. 20 km." Oder: "Auf einmal versinkt die
Sonne am Strand von Lahaina auf Maui und man denkt: Boah! Das liegt
übrigens westlich von Oahu/Honolulu."
Mit anderen Worten: Die
Stubenhocker, die nie über Jugendherbergen Südhessens hinausgekommen
sind, werden gezwungen, ihre verstaubten
Schulatlanten herauszukramen und nachzuschauen.
Weiterhin gibt es die Möglichkeit mit dem Mittel der Häme zu arbeiten. Dazu
eignet sich ganz hervorragend das Sujet Sonnenaufgang bzw. -untergang:
"Hallo ihr beiden. Der Sonnenaufgang auf dem Puu Ulaula (10023 feet)
war atemberaubend." (Dies ist der höchste Berg auf Maui, Hawaii
Islands.) - "Die Sonnenuntergänge an der Promenade des Anglais
(Nizza) im "Beau Rivage" sind einfach toll (besser: très joli). Das würde euch auch
gefallen." - Die Jahreszeiten eignen sich ebenfalls gut: "Den Frühling
in Cannes
müsst
ihr einfach erlebt haben." - "Vermont im Herbst, das muss man
gesehen haben." Oder: "Schade, dass ihr das nicht sehen
könnt."
Nach der 'Lektüre' so eines Satzes fangen selbst überzeugte Reisemuffel an,
zu überlegen, ob sie das Geld für den Ausbau der Modelleisenbahn im
Keller nicht umschichten sollen, für eine Reise auf die Andamanen oder
wenigstens nach Positano, das ist übrigens südlich von Neapel und wird
aber nicht ganz billig werden. Der Bärensee (bei Hanau) reicht da nicht.
Diese inhaltlichen Teile einer Postkarte sollte man ergänzen durch den
ausdrücklichen Wunsch, alle Erlebnisse baldmöglichst dem Adressaten
(wenigstens mündlich) mitzuteilen. - "Ich hab so wahnsinnig viel
zu erzählen."- "Seid einmal gespannt!"
Nun die Grußformel; ganz wichtig: "Á bientôt, Ciao amici oder Hasta
luego."
Einerseits will man dadurch andeuten, dass man der
Landessprache mächtig ist anderseits setzt man sich der Gefahr aus,
wenn man ein Accent vergisst oder noch schlimmer, falsch gesetzt hat,
dass einem dies später ganz dick (von der Kollegin, die französisch
unterrichtet) aufgetragen wird. Also, unbedingt von
einer netten Kellnerin oder dem Patron überprüfen lassen.
Hat der Urlaubskartenschreiber diese Regeln berücksichtigt, bleiben noch
ein paar kurze, aber nicht unwesentliche Hinweise. Bitte keine
Kreuzchen - "Hier wohnen wir." Oder "Das ist unser Zimmer." Oder
"Das ist der Weg zum Strand." - auf die Vorderseite kritzeln! Der
Kugelschreiber versagt eh regelmäßig auf dieser Seite.
Also, lässig das Ganze. Ach ja, die Adresse. Unzählige Urlaubskarten tragen
Hausnummer "?" oder Postleitzahlen aus dem Fantasialand; das
muss nicht sein. Lieber drei paar Socken (Ursprünglich stand hier
Unterhosen, aber Freunde aus München fanden dies zu anzüglich.) weniger, aber dafür ein Handy
oder ein Adressbuch mit aktualisierten Daten im Reisegepäck. In diesem
Sinne, viel Spaß beim Postkartenschreiben.
PS Beim Schreiben
von elektronischen Grüßen sind die obigen "Tipps" sicherlich auch zu
verwenden.
PPS
"Hallo mein Schatz! Hier in Mallorca ist es super! Ich hoffe bei dir
auch! Ich habe solche Sehnsucht nach Dir und gucke keinen Jungen an,
liege nur auf der Liege, denke an Dich und gehe früh ins Bett."
Text einer von mir in der Nähe von "Ballermann 6" gefunden Postkarte
adressiert an Heinz Gschbrrr (Name absichtlich vom Autor unkenntlich
gemacht.).
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Postkarten unterliegen dem Urheberschutz
und dürfen nicht abfotografiert werden. Deshalb nehmen wir eigene
Fotos und schicken sie als Postkarte.
"Bei der Fahrt mit dem Taxi in Bombay viel Armut gesehen." Bei bestimmten Adressaten, z.B.
Religionspädagogen im Bekanntenkreis, kann es auch schon einmal
rührselig werden.
"Florida,
Miami Beach, unser Zimmer!"
"Die
vorbildlichen Sonnenuntergänge an der Promenade des Anglais in Nizza am 'Beau Rivage' sind einfach toll.
Die solltet Ihr gesehen haben."
"Das solltet Ihr einmal gesehen haben. Guggenheim, Bilbao. Ihr habt
sicherlich schon davon gehört."
[...]
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