Gewaltmarsch durch Italien
Der 'Spaziergänger' Johann Gottfried Seume
J. G. Seume, "Mein Leben", Seite 47
Im Juni 1781 beschließt der 18jährige - er wurde am 29. Januar 1763
in Poserna bei Weißenfels geboren - Theologiestudent Seume von Leipzig
aus, auf der auch Bürgerlichen offenstehenden Artillerieschule in Metz
Soldat zu werden. "Ich nahm mein Monatsgeld, verkaufte einige
Bücher, die etwas Werth hatten, und nach Abzahlung meiner kleinen
Schulden, die ich nothwenig haben mußte, blieben mir ungefähr neun
Thaler. Mit diesen dachte ich schon nach Paris zu kommen und mich
umzusehen, was da für mich zu thun sei. Von dort aus - wer sieht nicht
gern zuvor Paris? - dachte ich nach Metz in die Artillerieschule, da ich
eben damals angefangen hatte, etwas ernsthaft Französisch und
Mathematik zu treiben. Das Uebrige überließ ich billig dem
Schicksal." Und so sollte es auch sein.
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"Den dritten Abend übernachtete ich in Vach, und hier übernahm trotz allem
Protest der Landgraf von Kassel, der damalige große Menschenmäkler,
durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachtquartiere nach
Ziegenhain, Kassel, und weiter nach der neuen Welt."
So schildert
es Seume mit wahrlich untertriebenen Witz in seiner Autobiographie
"Mein Leben". Er wurde also plötzlich zwangsweise das, was er
freiwillig - allerdings in Frankreich - hatte werden wollen: Soldat.
Was war geschehen?
Kleiner Rückblick. Die kleinen Sonnenkönige in Deutschland. Das Heilige
Römische Reich Deutscher Nation (1. Reich) war 1806 endgültig
zusammengebrochen. Zuletzt hatte es noch aus einigen mittelgroßen
Staaten und etwa 300 Kleinstaaten(!) bestanden. In jedem dieser
Ländchen, in jedem weltlichen oder geistlichen Bischofstum,
Fürstentum, Herzogtum, Landgrafentum strebte der Fürst danach, ein
absoluter Herrscher zu werden. Ihr Vorbild war das französische
Königshaus. Ihm eiferten sie nach. So bauten sie entsprechend. Überall
entstanden in den deutschen "Hauptstädten" und um sie herum
prunkvolle Bauwerke im Stile des Barock, Rokoko und des Klassizismus:
Stadtschlösser, Landschlösser, Jagdschlösser, Lustschlösser, Parks,
Anlagen, Theater, Museen usw. Unstillbare Großmannssucht erfüllte
diese Herrn.
Nun, zugegeben, heute sind sie ein Teil unserer Kultur, die sich zeigen
lässt.
Wer aber kam in den Genuss der so geschaffenen Kultur? Das die so
geschaffenen zahlreichen Schlösser, Parkanlagen und Lustpavillions, die
Gemäldegalerien (Erst unter Napoleon wurden diese öffentlich.) und
Bibliotheken allein dem Landesherren und seinem Hofstaat vorbehalten
bleiben, versteht sich von selbst.
Nun, mit dem Gelde ihrer Untertanen (Steuern und Abgaben/Frondienst)
bezahlten die Fürsten ihre Lebensart und Schlösser, manchmal mit deren
Leben. Das traurigste Kapitel deutscher Fürstengeschichte jener Zeit
ist der Soldatenhandel. Dieser Menschhandel war ein
gewinnbringendes Geschäft.
Hier einige Beispiele:
- 1687 verpachtete der Landgraf von Hessen-Kassel 1000 Soldaten an
Venedig; sie mussten in Griechenland gegen die Türken kämpfen.
- 1773 verpachtete der Herzog von Württemberg 6000 Mann Infanterie an
Frankreich.
- Zwischen 1775 und 1783 verpachteten der Landgraf von Hessen-Kassel, der
Herzog von Braunschweig, der Fürst von Hessen-Waldeck, der Markgraf von
Ansbach-Bayreuth insgesamt 28 875 junge Männer an England zur
Unterdrückung des nordamerikanischen Freiheitskampfes. Dazu wurden
junge Burschen in den Dörfern eingefangen ("Ab nach
Kassel."), in Uniformen gepresst, auf dem Exerzierplatz gedrillt
und schließlich unter scharfer Aufsicht wie Vieh nach Hamburg gebracht,
von dort mit Segel-Schiffen nach Nordamerika verfrachtet um dort gegen die
aufständischen Kolonisten, die überwiegend aus Großbritannien
stammten, zu kämpfen.
- Am 4. Juli 1776 erklärten sich dreizehn Kolonien unabhängig. 1783 wurde
der Krieg gegen England siegreich beendet; die Vereinigten Staaten
wurden unabhängig. Von den jungen Männern
fielen 12 562.
[...]
"Mein Leben", Seite 55. Hier beschreibt er
seine Verfrachtung (mit Tausenden anderen) über den Ozean nach Halifax.
"In den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt,
geschichtet und gepökelt wie die Heringe." [...]
Am 06. Dezember 1801 schließlich bricht Seume zum lange geplanten Fußmarsch
nach Süditalien auf, den er unter dem kauzigen Titel "Spaziergang
nach Syrakus im Jahre 1802" beschreibt: "Ich schnallte in Grimma
meinen Tornister, und wir gingen." ebd. Seite 9.
Dies der lapidare Auftakt zu
einem der schönsten Stücke unter den deutschen Reiseberichten.
J. G. Seume beschreibt seine Eindrücke von Landschaften, Menschen und
Erlebnissen. Wer jedoch ausführliche Naturbeschreibungen oder speziell
in Rom, ausführliche Beschreibungen der Bauten erwartet, wird
enttäuscht. Er beschreibt, was er sieht und erlebt.
Später mehr von der physischen Meisterleistung des J. G. Seume.
Weiterführende Seite: www.stadtmuseum-graz.at/seume
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Prosaische und poetische Werke von J.G. Seume
"Mein Leben"
"Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802"
Verlag Gustav Hempel, Berlin 1879
Im Winter 1809/10 begann Seume mit dem Schreiben seiner
Autobiographie.
Antiquarisch erstanden: 1975
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